Overnighter „Bürglischloß“

Eine einzige Sache stand fest, man konnte noch immer einfach losmarschieren und sich durch die Natur schlagen. Es gab noch Täler, in die sich der Tag stürzte, ohne dass einem jemand sagen konnte, in welche Richtung man gehen musste, und man konnte diese Stunden, in denen einem der Wind um die Ohren blies, mit Nächten in großartigen, verborgenen Winkeln krönen.

Man musste sie suchen, es gab Zwischenräume.

Es gab noch die versunkenen Pfade.
Worüber sich beklagen?

Sylvain Tesson – „Auf versunkenen Wegen“

Am Freitag gegen achtzehn Uhr klingelt es an der Haustür. Stefan kommt wie besprochen mit allem was man für einen Overnighter braucht, bei uns zu Hause an. Er ist schon knapp eineinhalb Stunden mit dem Rucksack unterwegs, während ich noch schnell meine Sachen zusammengepackt habe. Heute Abend komplett bis nach Gailingen zu laufen war mir zu viel, also haben wir schon im Vorfeld ausgemacht, dass wir uns mit dem Auto nach Ramsen bringen lassen und wir von dort dann zum Aussichtsturm Bürglischloß in Gailingen laufen. Mitte der Woche war abzusehen, dass das Wetter am Wochenende passen wird, seitdem freue ich mich darauf. In Ramsen dann Rucksack auf den Rücken, eine kurze Orientierung, welcher der beiden Feldwege am Ortsrand der Richtige ist und los geht’s.

Wir laufen zwischen Wiesen und Getreidefeldern hinauf bis zum Waldrand, der Weg ist, wie meistens in der Schweiz, bestens ausgeschildert. Schon nach den ersten Metern im Wald spürt man, dass es hier deutlich kühler und somit angenehmer ist. Ich atme auf und möglichst viel von der frischen Luft ein. Wir steigen langsam weiter bergauf, ein wunderschöner Laubwald ist das hier. Ungefähr nach einer dreiviertel Stunde kommen wir an einen Grillplatz, von wo aus man einen schönen Blick auf den Hohentwiel hat. Nach kurzer Pause geht es weiter, bis wir oben auf dem Berg einen Single Trail erreichen, der sich kurvenreich durch den Wald schlängelt und uns schließlich bis zum Bürglischloß führt.

Es ist jetzt zwanzig Uhr, den ganzen Abend lang ist uns kein Mensch begegnet. Vor ein paar Stunden haben wir noch gearbeitet, jetzt sind wir raus. Wir könnten auch irgendwo in Kanada unterwegs sein, das würde sich auch nicht anders anfühlen – herrlich! Die Sicht ist gut, die Alpen reihen sich vor uns auf. Am Holzturm ist die Bergkette auf langen schmalen Schildern abgebildet und die markantesten Gipfel mit Namen erwähnt. Ein paar davon kenne ich von eigenen Touren.

Auf der Aussichtsplattform ist ausreichend Platz, um zu übernachten. Es gibt eine integrierte Bank, auf der wie es uns gemütlich machen und den Ausblick in der Abendsonne auf uns wirken lassen. In Richtung Westen, Norden und Osten stehen große Bäume. Ich habe den Eindruck in Höhe der Baumkronen zu sitzen.

Eine unterhalb verlaufende Straße ist deutlich hörbar, das ist aber auch das einzige Manko, kein Grund zu jammern. Richtig viel Lärm veranstaltet dagegen ein Eichhörnchen, das zuerst auf dem Dach des Turms, kurz darauf dann über einen von unten sichtbaren Dachbalken sprintet. Hoffentlich geht das nicht die ganze Zeit so.

Die Nacht verläuft schließlich unspektakulär, gegen fünf wird es bereits wieder hell. Das Eichhörnchen ist auch schon wach und schaut erneut bei uns vorbei. Die Alpengipfel sind heute früh noch besser zu erkennen als gestern, was für ein Ausblick beim Frühstück!

Wir wandern denselben Weg wie gestern zurück nach Ramsen, im dortigen MIGROS decken wir uns mit Nussgipfeln für ein zweites Frühstück ein. Dann laufen wir weiter, erst ein Stück auf der kleinen Straße nach Wiesholz und schließlich über Feldwege bis nach Bohlingen. Für mich endet unser kleines Abenteuer hier, Stefan macht bei uns nochmal eine kurze Pause und läuft dann zurück bis Böhringen.

Schön war es wieder! Es bleibt das Gefühl Urlaub gehabt zu haben, obwohl wir nur von Freitagabend bis Samstagmittag unterwegs waren.

Oder, um es mit Sylvain Tesson zu sagen:

Es gab noch die versunkenen Pfade.
Worüber sich beklagen?