Rhein Neckar Kreis: Stiefelhöhe

Unser Urlaub Ende Juni rückt näher, aber wir wissen noch nicht, wo wir ihn verbringen sollen. Weil das gesamte Frühjahr so verregnet war, wollen wir bis kurz vorher abwarten und schauen, wo das Wetter für die nächsten Tage halbwegs passabel sein könnte.
Italien ist in der engeren Auswahl, Südtirol (ja ich weiß, das ist auch Italien) war bisher immer schön, vielleicht sogar irgendwo in der Schweiz? Die Wettervorhersage in Richtung Süden ist aber leider alles andere als vielversprechend. Für zu Hause sieht es ganz gut aus, aber mal ein paar Tage wegfahren wäre halt schon schön. Für das Gebiet nördlich von Stuttgart wird uns im Prinzip das stabilste Wetter prophezeit. Und so schauen wir auf unsere Karte mit den noch ausstehenden Nussgipfeln und entschliessen uns kurzerhand in den Odenwald zu fahren. Den hatten wir bisher noch nie auf dem Schirm – völlig zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte.
Der Odenwald ist ein Mittelgebirge, dass sich über den Norden von Baden-Württemberg, den Süden von Hessen, sowie den Nord-Westen von Bayern erstreckt. Unsere Suche nach einer Ferienwohnung ergibt einen Treffer in Michelstadt, das liegt zwar in Hessen, dafür aber ziemlich zentral für die nördlichsten drei Landkreise von Baden-Württemberg, mit ihren drei höchsten Erhebungen.
Nach Anreise in unser neues „Basislager“ und eintägiger Akklimatisierung nehmen wir uns für heute die Stiefelhöhe1, die höchste Stelle im Rhein-Neckar Kreis vor. Zu Hause enden die Namen der meisten Ortschaften mit -ingen, hier nennen sich ganz viele Ortschaften, Irgendetwas mit -bach am Ende. Unsere Wanderung startet dann auch in Wald-Michelbach. Dort geht’s erst einmal in die Bäckerei Lipp.

Die Nussgipfel heißen hier zwar Nussplunder, das ist dann aber auch schon der einzige Unterschied. Wir möchten auch noch zwei Salamibrötchen kaufen, die gibt es im selben Verkaufsraum gegenüber beim Metzger. Wobei „gegenüber“ nur unzureichend die Entfernung wiedergibt. Der Laden ist ein langer Schlauch mit zwei Verkaufstheken. Eine für Backwaren auf der einen Seite und die andere für Fleisch und Wurst auf der anderen Stirnseite. Beide befinden sich gefühlt hundert Meter voneinander entfernt, auf diese Weise kommen schon die ersten Kilometer für heute zusammen!
Unsere eigentliche Wanderung beginnt dann aber am Freibad. Von dort über eine Wiese, vorbei an einer PV-Anlage, hinein in den Wald. Sehr angenehm hier im Schatten, denn es ist schon ganz schön heiß heute. Der Odenwald oder zumindest der kleine Ausschnitt, den wir gerade kennenlernen, besteht aus wunderschönen Mischwäldern mit viel grüner Vegetation am Waldboden. Wir entdecken einen lilafarbenen Fingerhut, der aussieht wie gemalt und freuen uns darüber. Ich mache mehrere Fotos davon. Ein paar Meter weiter erblicken wir schon den nächsten und dann stellen wir schnell fest, dass der hier überall wächst, wie bei uns der Löwenzahn.


Unsere Tour verläuft teils über breite Waldwege, teils über fast vollständig zugewucherte Singletrails. Wir überqueren eine Landstraße, kommen an einer Gaststätte mit Spielplatz vorbei und tauchen wieder ein, in den nächsten bewaldeten Streckenabschnitt. Einen halben Kilometer vor unserem heutigen Ziel, der Stieflhöhe (589 Meter über NN), kommen wir an einem entsprechendem Wegweiser vorbei. Einige Blumen wurden hier offensichtlich extra hingepflanzt, ein schöner Tisch mit zwei Bänken lädt zum Pause machen ein. So verlockend es ist hier Platz zu nehmen, wollen wir jetzt aber schon noch die paar Meter bis zur höchsten Stelle des Landkreises laufen. Wer weiß, wie gemütlich es dort erst ist?
Ein schmaler Pfad führt uns dann auch hin und um ein Haar auch daran vorbei. Wenn ich aufgrund eines Fotos, dass ich mir vor der Tour angeschaut hatte, nicht gewusst hätte, das hier ein großer Stein mit Inschrift steht, hätten wir die Stelle sicher verpasst. Zum Hinsitzen und lecker Nussgipfel essen gibt es keine halbwegs einladende Ecke. Also machen wir unsere Beweisfotos und gehen wieder zurück zum letzten Wegweiser mit Sitzgelegenheit. Dort lassen wir uns dann die übliche Gipfelmahlzeit schmecken und genießen die Ruhe.



Nach der Mittagspause wandern wir weiter, in einem Bogen zurück in Richtung Startpunkt. Bis wir unseren geliebten Kaffee zubereiten können, dauert es dann aber leider noch eine kleine Ewigkeit. Es taucht einfach nirgends mehr irgendeine Bank oder wenigstens ein Baumstamm auf. Führte unser Weg nach dem Mittag noch langsam aber sicher abwärts, geht es nun plötzlich wieder aufwärts. Der Schweiß läuft mir schon in einem Rinnsal den Rücken hinunter, ich beginne zu halluzinieren. Wüstenähnliche Bilder erscheinen vor meinem geistigen Auge. Ich suche verzweifelt auf der Karte nach einem nahegelegenen Rastplatz, werde fündig und beginne die verbleibenden Meter runterzuzählen.
Nun ja, vielleicht habe ich „etwas“ übertrieben, aber wir freuen uns ehrlich, als wir eine Schutzhütte mit Bänken erreichen und endlich unsere Kaffeepause einlegen können. Das Thema wiederholt sich – ich weiß – man sollte meinen, wir lernen daraus. Aber wenn alles vorher schon haarklein geplant wäre, würde es dann noch Spaß machen?
Nach dem Kaffee geht es frisch gestärkt und leichten Fußes zurück zum Parkplatz vor dem Schwimmbad. Der Platz empfängt uns mit dem üblichen Gejohle von Kindern in Freibädern. Begleitet von den Plansch-Geräuschen, die entstehen, wenn man ins Wasser springt und wird eingerahmt vom Duft nach Currywurst mit Pommes, an einer Sauce aus Sonnenmilch. Schön, dass es Konstanten im Leben gibt. Genauso war es auch schon, als wir selber als Kinder im Schwimmbad waren. Die Erinnerung daran ist sofort wieder da, die Müdigkeit von vorhin ist verschwunden, ich fühle mich jung.


