Biberach: Rotreiß

Quasi auf der Heimfahrt vom Schwarzen Grat (Nussgipfel #3) wollen wir den höchsten Punkt im Landkreis Biberach besuchen. Die vorangegangene Suche im Internet lieferte schnell das Ergebnis „Rotreiß“1 als höchste Erhebung auf 800 Meter Höhe. Also mal eben in komoot einloggen und auf der Karte suchen – naja, fast. Ich finde zwar Mountainbiketouren die zum Rotreiß führen, aber auf der Karte ist der Punkt nicht direkt eingezeichnet. Dann probiere ich das Gleiche in Google Maps und habe mehr Glück. Dort ist eine Stelle auf der Karte mit dem Namen Rotreiß bezeichnet. Ringsum ziemlich viel grünes Nichts. Beim Reinzoomen sind aber diverse Waldwege zu erkennen. Sowohl bei komoot als auch bei Google ist jeweils ein Foto von einem kleinen Häuschen mit Walmdach hinterlegt. Kein Turm, kein Rastplatz, nichts was auf einen schönen höchsten Punkt mit Aussicht hindeutet. Wikipedia klärt mich dann diesbezüglich auf. Bei besagtem Gebäude handelt es sich um ein Wasserreservoir, das in einer kleinen Lichtung im Wald steht. Von wo aus könnten wir da hinlaufen? Gibt es in den Orten ringsum irgendwo eine Bäckerei, die uns einen Nussgipfel verkauft?
Der nächstgelegene Ort ist Ittenhausen. Der liegt zum einen tatsächlich sehr nah am Rotreiß, da bliebe fast nichts für eine Wanderung übrig, nicht mal für eine kleine. Zum anderen muss ich feststellen, dass es in Ittenhausen keine Bäckerei gibt. Immerhin, der Ort liegt im Landkreis Biberach, was zu dem angestrebten höchsten Punkt passen würde. Ein paar Kilometer weiter finde ich auf der Karte den Ort Inneringen. Der liegt zwar schon im Landkreis Sigmaringen, dort scheint es jedoch eine Bäckerei zu geben und die Entfernung zum Rotreiß ist etwas größer als von Ittenhausen. Bingo, von da aus soll es losgehen.
Wir fahren morgens bei Nieselregen los. Bis wir in Inneringen ankommen, hat es erfreulicherweise aufgehört. Es weht allerdings ein unangenehmer, fieser kalter Wind. Das sollte jedoch kein Problem darstellen, alpines Gelände ist für heute ohnehin nicht zu erwarten. Die Bäckerei Müller ist, wie sich das gehört, mitten im Ort zu finden. Die Auswahl an verschiedenen belegten Backwaren ist atemberaubend. Das hätte ich in dem kleinen Ort nicht erwartet. Und wir haben wieder Glück, auch Nussgipfel (bzw. Nusshörnle) sind im Angebot. Wir stellen unser Auto in der Nähe der Kirche ab, sicherheitshalber packen wir Regenschirme an die Rucksäcke und schon kann es losgehen.
Auf unserem Weg, raus aus dem Ort, kommen wir gleich am Wahrzeichen von Inneringen vorbei, dem Wasserturm. Der wird sogar auf einer Hinweistafel am Ortseingang gezeigt, muss also etwas Besonderes sein. Im Jahr 1957 erbaut, wurde auf die Außenfassade des Turms 1977 eine Windmühle aufgemalt. Was, so lese ich nach, das Angebot für Feriengäste ergänzen sollte – na dann! Zur Windmühle gibt es auch noch Geschichtliches, ich verlinke das für alle Windmühleninteressierte am Ende des Artikels2. Mir sticht vor allem die zum Anorak meiner Frau farblich optimal abgestimmte mobile Toilette ins Auge. Für mich die eigentliche Attraktion. Und weitere sollten folgen.


Ein paar Schritte weiter erblicke ich einen, sagen wir mal, nicht ganz alltäglichen Vorgarten. Ein Ensemble aus- Schildkröten, Häuschen und Planschbecken, schmiegt sich nahtlos in eine Sandwüste ein. Ist das Kunst oder kann das weg? Der Grat zwischen den beiden Optionen kann mitunter schmal sein. Die Klassifizierung überlasse ich euch, ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Nach so viel Kultur wird es Zeit, uns wieder unserer eigentlichen Bestimmung zuzuwenden und uns dem heutigen Ausflugsziel anzunähern. Schon bald verlassen wir das Dorf mit dem Wasserturm und laufen bei rauer Witterung hinüber zum nahegelegenen Wald, in dem irgendwo der Rotreiß zu finden sein muss. Von einem Anstieg kann beim besten Willen nicht die Rede sein, der zu bewältigende Höhenunterschied ist marginal.
Am Waldrand stoßen wir auf eine Liegebank aus Holz, von der aus man Ittenhausen in entspannter Haltung betrachten kann. Es geht weiter am Waldrand entlang, dann in selbigen hinein. Wir navigieren uns mit dem Handy entlang unserer geplanten Tour, in Richtung Rotreiß. Hinweisschilder dazu gibt es nicht, spontan lässt sich dieser höchste Punkt nicht finden. Da bedarf es schon expeditionsartiger Vorbereitungen. Der Waldweg wird zunehmend matschiger. Klar es hat in letzter Zeit viel geregnet, und bis vorhin gerade auch noch. Eine letzte Abzweigung, spätestens jetzt bin ich froh, dass ich meine hohen Wanderschuhe angezogen habe. Hier ist es richtig unwegsam. Die Szenerie wird noch durch einen am Wegesrand stehenden Jägerstand unterstrichen. Ich kann das jedem Locationscout wärmstens empfehlen. Wenn wir in der Dämmerung hier wären, würde ich glaube ich schreiend aus dem Wald rennen.


Am Ende dieses Weges kann ich die Lichtung mit dem Wasserreservoir erkennen, unser Tagesziel. Wir nähern uns dem Gebäude von hinten. Dort steht ein ausgedienter Bürostuhl im Gelände. Vielleicht entsteht hier demnächst ein angesagter Coworking Space, Ruhe für konzentriertes Arbeiten wäre jedenfalls reichlich vorhanden. Wir haben es geschafft, das hier ist der höchste Punkt im Landkreis Biberach, ein echtes „Highlight“. Auf der anderen Seite des Gebäudes gibt es eine schwarze Stahltüre, ein Weg führt direkt bis davor. Von außen hört man die für Wasserreservoire üblichen Brumm- und Gurgelgeräusche, mehr gibt es wirklich nicht zu berichten. Für uns wird es jetzt Zeit eine kleine Pause zu machen und vor allem, unsere mitgebrachten Nussgipfel zu verspeisen. Lecker und nahrhaft, an dieser Stelle ein großes Lob an das Bäckerhandwerk.


Für den Rückweg habe ich noch eine kleine Schleife eingebaut. Die Sonne kommt plötzlich zum Vorschein und leitet ihre Strahlen durch den vorhin noch so düster erscheinenden Wald. Vögel zwitschern, alles wirkt jetzt sehr viel freundlicher auf uns, so schnell kann es gehen.
Außerhalb des Waldes wartet dann eine weitere Attraktion auf uns. Ein kleines Gehölz ist mit Plastikeiern österlich geschmückt, samt Osterhäsin aus Stoff im rosa Kleidchen. Vermutlich auch eine Maßnahme zur Angebotsergänzung für Feriengäste.

Auf dem Weg zurück nach Inneringen zieht es wieder etwas zu und der Wind bläst uns eisig ins Gesicht. Und doch denke ich, hier komme ich glaube ich irgendwann mal wieder mit dem Fahrrad her. Ringsum weites Land, ich mag das.

Was bleibt noch zu sagen? Das der Rotreiß alles andere als ein Geheimtipp ist, sollten alle gemerkt haben. Uns wird er sicherlich dennoch in Erinnerung bleiben. Alles war heute und hier ein wenig „spooky“. Aber unsere Nussgipfel-Touren haben uns an einen Ort geführt, den wir sonst nie kennengelernt hätten. Wir waren an der frischen Luft, hatten Spaß, mit dem was wir entdeckt haben, und die verspeisten Nussgipfel waren lecker. Unterm Strich, auf alle Fälle ein Erlebnis.
Im Landkreis Biberach gibt es aber auch noch richtige Berge. Zum Beispiel den Bussen3. Das ist die höchste Erhebung dieses Landkreises, die außerhalb der Schwäbischen Alb liegt und ist angeblich ein gutbesuchter Wallfahrtsort und Aussichtsberg. Da könnten wir irgendwann auch mal eine Tour hin machen, mit oder ohne Nussgipfel im Gepäck. Wenn es so weit sein sollte, werde ich jedenfalls berichten.

